Alke Reeh – Starre Ordnung – zufällige Ansammlung

März – April 1993

Konzept: Horst Griese

"Alke Reeh hat für diese Galerie eine sehr ungewöhnliche Arbeit installiert. Es ist sozusagen eine Intervention in die Architektur, Schrank und Schranke zugleich, die den Raum wie durch eine eingestellte Wand in zwei Hälften teilt. Der Schrank, um bei dem Begriff zu bleiben, hat zwei Schauseiten, beidseitig verglaste Fächersysteme, die für zwei verschiedene Ordnungen stehen: eine regelmäßige Rasterordnung mit jeweils gleichgroßen und gleichtiefen Fächern und eine gleichsam flexible Ordnung aus unterschiedlich großen und tiefen, mal horizontal oder vertikal ausgerichteten Raumfächern. Beide Ordnungen stehen Rücken an Rücken zueinander wie eine allegorische Zweiheit ein und desselben Prinzips. Doch weder ist die Anzahl der Fächer auf beiden Seiten gleich - im einen Fall sind es 63, im anderen 54 Fächer - noch sind sie auf ein proportionales Verhältnis der Gesamtfläche des Körpers hin berechnet. Die Fächern gliedern und strukturieren die Leere in einem klaren Gefüge benachbarter Einzelkammern, in denen der Raum einmal eher komprimiert, ein anderes Mal ausgedehnt erscheint.

[...] Wohl kaum jemand hat die dichterische Einbildungskraft von Räumen bzw. Hohlkörpern treffender analysiert und beschrieben als Gaston Bachelard in seiner Poetik des Raumes. Dort gibt es ein Kapitel über die Phänomenologie von Schubladen, Schränken und Truhen, aus dem ich abschließend einige Sätze zitieren möchte. Bachelard beschreibt den Innenraum von Schränken, Schubladen und anderen 'denkenden Möbelstücken' als einen Intimitätsraum, als eine 'Intelligenz des Verstecks', in dem er eine Entsprechung sieht zwischen der Geometrie des Kästchens und einer 'Pyschologie des Verborgenen'. Unter anderem heißt es dort: 'Das Thema der Schubladen, der Truhen, der Schlösser und der Schränke wird uns immer wieder mit dem unergründlichen Vorrat der Innerlichkeitsräume in Kontakt bringen. Der Schrank und seine Fächer, der Schreibtisch und seine Schubladen, die Truhe mit dem doppelten Boden sind wirkliche Organe des geheimen psychologischen Lebens.
(...) Im Schrank lebt ein Ordnungssystem, welches das ganze Haus gegen eine grenzenlose Unordnung schützt. Dort herrscht eine Ordnung, oder vielmehr ist Ordnung ein Herrschaftsbereich.' [...]

Bachelard hat in seiner poetischen Anthologie wunderbar gezeigt, dass eine unmittelbare Beziehung besteht zwischen der Phänomenologie räumlicher Dinge und der menschlichen Imagination. Die Grenze zwischen materieller und menschlich-psychologischer Innerlichkeit ist durchlässig. Die Imaginationskraft kennt keine Grenzen. [...] Alke Reehs Arbeit ist ein Angebot, die eigene 'innere Unermesslichkeit' zu erfahren."

(Auszüge aus dem Text Alke Reeh von Justus Jonas zu der Ausstellung. Der volständige Text ist im Künstlerhaus Bremen erhältlich.)

 

Materialien: Holz, Glas